Donnerstag, 12. November 2009

Vorhang auf

Es gibt Momente die gehen an mir vorbei als gäbe es sie gar nicht...gibt es viele
davon? Weiß ich nicht...frag doch den Pförtner, der führt Buch darüber, über diese
Momente. Er ist der, der die Vorhänge zuzieht und nur noch vereinzelt die
wichtigsten Geräusche und Regungen hereinlässt. Diese selige Ruhe! Was würde
ich nur ohne ihn machen?
Rot, rot, rote Bluse, rotes Gesicht, lautes rot-Hartnackschule, gelb, happy hour,
jetzt einsteigen-“Weis-ch, weich-sbieeer,...bianco, blablabla-ragazza-trallalalala“-
Trainingsanzug, Turnschuhe, schwarz, dunkler Blick- „Bin zur Gymnastik, danach
im Garten, Rosmarie-Scheibe zerkratzt, Brandenburgertor draufgedruckt, noch eins
kopfüber, auf der Seite, eins, zwei, drei,...
aaaahhhhh Pförtner Hiiilfe...STILLE....
Mein Gesicht entspannt. Ein Zugang, ein Fenster nach dem anderen wird
zugezogen. Mein Gesicht erstarrt im Standby-Modus. Wie im Nebel wabern die
Gestalten nun um mich herum. Zeichnen ihre verschwommenen Konturen als
Schatten in mein Zimmer....
Klopf, Klopf...
eine bezaubernde Gestalt tritt aus dem Nebel...versucht sich den Weg an meinen
Füssen vorbei zum Ausgang zu bahnen. War das ein Lächeln ? ehe ich es ahnen
kann, schlagen die Türen hinter ihr zu und ich nehm ihr Bild mit in mein Zimmer.
Die Vorhänge werden noch dichter gezogen und ich suche einen Platz in meinem
immer an dem ich das Bild aufstellen kann,
Klopf, Klopf...
oh umsteigen. Die Tür geht auf und vor mir...Grauer Mantel, Graue Hose,
Schwarze Bluse-T-Shirt, Dreitagebart, Umhängetasche- Kinderwagen, blau,
verwaschen---aaahhh Pförtner...STILLE...
auf dem Weg vor mir liegt eine sichtbar leuchtende Linie die mich durch die Gänge
zu meinem Zug führt...ich starre sie an und folge ihr.
Klopf,Klopf...
Der nächste Zug fährt ein und die Türen gehen auf. Bierbauch-knappes t-shirt-
Gitarre, Pappbecher, Brille- Jeans, helle Bluse, ein leichtes Tuch, langes lockiges
blondes Haar...war das nicht? nein.
aaaaahhh Pförtner Hiiilfe...STILLE...
Vor mir zeichnet sich ein sichtbar leuchtende Linie ab...ich gehe ihr nach und
gelange so an den Gestalten vorbei in den Zug.
Klopf, Klopf...
ein Zettel liegt auf meinem Platz. Weiß, unaufdringlich weiß. Ich frag den Pförtner
aber der hat auch nichts mehr zu sagen...der liegt halt so da der weiße Zettel. Ich
nehm ihn und setz mich. Ich falte ihn auseinander. Ein bekanntes Gefühl. Raues
weißes Papier mit einer scharfen Kante dort wo es geknickt ist. Es steht was drauf...
Küchentischgespräch
Zwischen Besteck und Geschirr
Reste von Unterhaltung
Umschreibungen Gähne Geplänkel
geflügelte Worte
Aber sie fliegen nicht
Nichts schwingt sich auf und davon
Der Vogel hüpft fort von mir
und kauert unter dem Ausguß
Wenn ich tot wäre
wollte ich hämmern
an deine
verriegelte Welt
Wenn ich wieder
geboren wäre
dich finden
und zu dir sprechen
Aber ich lebe
und meine Worte reichen
nicht bis zu dir
und fallen unter den Tisch
Ich sitze da mit zugezogenen Vorhängen und lese...Um mich herum ist es still und
dunkel. Nichts dringt zu mir rein. Ich lese und mit jeder Zeile verlier ich mehr und
mehr die Orientierung. Hier in meinen vier Wänden. Ist das möglich? Hier wo ich
mich eingerichtet habe, wo ich für mich bin sollte ich doch für alles eine Erklärung
haben. Der Pförtner zieht die Vorhänge auf und ich sehe...
Eine Frau, vielleicht mitte dreißig. Sie hat auch einen Zettel in der Hand und liest.
Ob da dasselbe steht? Die ist bestimmt genauso verdutzt wie ich.
Schräg gegenüber ein Pärchen vielleicht mitte zwanzig. Sie kichern ein wenig beim
lesen. Sie trägt einen leichten weißen Pulli mit V-Ausschnitt und eine Jeans. Sie hat
einen braunen Teint, pechschwarze Haare und ihre braunen Augen werden von
einem nach außen spitz zulaufendem Rahmen verengt. Sie kommt wohl aus Japan
oder so. Ihr Freund ist groß und blond und trägt seine Frisur als wenn er kurz
vorher noch den Kopf aus dem fahrenden Zug gehalten hätte. Er ist sicher
Deutscher. Sie spricht auch perfektes deutsch. Ob sie hier geboren wurde?
Der Mann neben mir scheint etwas unbeholfen. Er ist sicher schon in Rente. Seine
braune Schiebermütze deckt sein graues Haar ab. Es war sicher mal schwarz. Er hat
auch ein Blatt Papier vor sich und hält es fest in der Hand. An seiner linken Hand
baumelt eine kurze Kette. Ich glaube es ist eine Gebetskette. Ich versuche auf sein
Blatt zu schielen um zu sehen ob bei ihm dasselbe draufsteht. Er bemerkt es und
sagt zu mir: „Das ist ein Gedicht...wie schön! Ich habe viele Gedichte gelesen aber
auf türkisch. Ein Gedicht..haha!“ Ich lache auch mein Gesicht entspannt sich. Ich
schaue mich um uns beobachte die Menschen wie sie alle orientierungslos ein Blatt
Papier vor sich halten.
Heute Abend bevor ich schlafen gehe, werde ich den Pförtner bitten ein wenig
umzuräumen.

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